Denken ist eine gute Sache. Wenn man es nicht übertreibt. William Hellström, Frontmann der Band Vita Bergen denkt eine ganze Menge. Nicht nur in seinem Medizinstudium. Er denkt zum Beispiel immer, er müsse alles noch viel besser machen, als das, was er gerade abgeschlossen hat. Die Musik bietet ihm allerdings ein Ventil für emotionale Freiheit. Mit „Retriever“, der zweiten Platte seiner Band, preist er das große Gefühl. Exzentrisch schwelgender Indie-Pop, vielschichtig, natürlich mit Künstler-Etikett, aber angenehm melancholiefrei. Wer tanzen will, nur zu. Kurz bevor alles zu überdrehen droht, hält William seine Arrangements stets mit einem feinen Raster in Schach. Zack. Indie-Pop aus Schweden lebt. Und das durch einen Mann, der sich tagein, tagaus von Käsestullen mangelernährt (siehe Gimmick am Beitragsende).

Das war schon ein großer Unterschied von der Produktion eures ersten Albums „Disconnection“ (2015) und der neuen Platte „Retriever“, oder?
Ja, das erste hatten wir noch in meiner Wohnung aufgenommen. Das neue ist an verschiedenen Orten entstanden: Stockholm, Göteborg, Los Angeles. Auch auf Tour haben wir immer mal wieder Aufnahmen gemacht. Es ist schon anders, wenn man einmal in einem großen Studio gearbeitet hat. Um von dieser Extravaganz wieder runterzukommen, haben wir die letzten Änderungen bei meinen Eltern zu Hause gemacht. Die waren zwei Wochen verreist und wir haben da mit der Band und ein paar engen Freunden gewohnt, gemixt und gefeiert.

Und wie sieht das sonst so aus bei euch? Ihr seid alles Freunde aus Kindertagen. Wer ist der Bestimmer?
Ich produziere die meisten Songs und Instrumente selbst. Robert, der Gitarrist und ich schreiben die Songs gemeinsam.

Und wie gut klappt das zu zweit?
Das ist schon manchmal knifflig. Wir haben aber beide unsere festgelegten Rollen. Das letzte kreative Wort ist aber meins.

Und die anderen vier halten sich eher im Hintergrund?
Ja. Da wir alte Freunde sind, ist das Touren im Bus ein großer Spaß und durch die Vertrautheit total entspannt.

Vita Bergen Bandfoto

Vita Bergen stellen sich folgende Frage nie: Wer ist hier der Boss? (Foto: Olof Grind)

Was macht einen richtig guten Pop-Song aus?
Das Gefühl dahinter und die Melodie. Unsere neue Platte ist ein totales Pop-Album. Es ist sehr melodisch. Ich möchte mich kreativ einfach in einer melodischen Umgebung wiederfinden. Denn ich liebe Pop (lacht). Ein guter Pop-Song steht immer für sich allein. Es ist egal, wie gut er produziert wurde oder ob ihn jemand nur am Klavier oder nur auf einer Gitarre eingespielt hat.

Und was ist dein liebster Pop-Song, wenn du wählen musst?
„Transformer Man“ von Neil Young.

Was sind die musikalischen Helden deiner Kindheit?
Meine Eltern hatten nichts mit Musik am Hut. Der Vater meines besten Freundes, der auch mein Fußballtrainer war, hat jede Woche neue Mixtapes erstellt. In dieser Zeit habe ich viele Bands kennengelernt: The Doors, The Clash, The Velvet Underground… Als ich Songs wie „Walk on the Wild Side“ hörte, sagte ich immer „Spiel das nochmal und noch mal!“ Für mich sind es aber nicht die Künstler, mit denen ich diese Begeisterung assoziiere. Es sind die einzelnen Songs.

Wie hat das bei dir mit der Band angefangen?
Langsam. Nachdem wir die Band gegründet hatten, haben wir noch drei Jahre gebraucht, um mal live zu spielen. Niemand wusste, was wir machten. Für drei Sommermonate hatten wir uns sogar komplett in den Wald zurückgezogen. Alle fragten sich: Was ist denn mit denen los? Ich denke das, was mich am meisten antreibt, ist die Suche nach etwas und die Möglichkeit, bei einer Sache komplett frei sein zu können.

Aber wenn alle anderen schräg gucken, muss man auch zu sich selbst stehen können und ehrgeizig sein.
Das stimmt! Wir haben in dieser Zeit so viele Freunde verloren. Jetzt stehen sie allerdings nach und nach wieder vor unserer Tür (lacht).

Was ist deine größte Motivation?
Es ist die Suche nach etwas. Du weißt nicht, wo das alles hinführt. Aber du stellst dir vor, wenn du dies oder jenes tust und dich genug anstrengst, hast du am Ende den Song, den du schreiben wolltest. Am meisten motiviert mich, dass ich nie zufrieden mit dem Ergebnis bin. Dann denke ich sofort: Wie können wir es nächstes Mal besser machen? Das ist echt ein Problem. So wirst du ja niemals fertig.

Das mit der ewigen Unzufriedenheit sagen ja viele Menschen. Aber ist es wirklich so? Bist du nicht vielleicht nur 90 Prozent der Zeit unzufrieden und auch mal 10 Prozent ganz angetan von deiner Leistung?
Ja, das stimmt schon. Wenn ich zum Beispiel eine neue Vinyl-Platte von uns in den Händen halte, ist es immer ein toller Moment. „Wow, das haben wir gemacht!“ Vorhin war ich im Büro unseres skandinavischen Labels. Im Hintergrund lief unsere neue Platte und ich dachte: Hey, das ist gut geworden! Diese Freude hält aber nur für eine ganz kurze Zeit. Dann ist alles ist wieder wie üblich (lacht).

Ach komm, manchmal muss man doch auch den Mut haben, sich selbst zu mögen. Man kann sich dabei nicht immer auf andere verlassen.
Das ist wahr. Und wir werden auch besser darin. Letztens hatten wir zwei Shows in Spanien gespielt. Als wir nach einem tollen Gig in Barcelona vor 500 Leuten nachts um 2:00 Uhr durch die Straßen liefen, haben wir kurz gestoppt und gesagt: Okay Leute, lasst uns jetzt mal diesen Moment genießen!

Illustration William Hellström Vita Bergen

Lecker. Käsestulle. Wie wir drauf kommen? Weiterlesen…

Es gibt so viele Kreative, die ihre Künste online präsentieren. Schüchtert es euch manchmal ein, andauernd die mögliche Konkurrenz zu sehen?
Ja klar. Und schließlich muss man ja auch seine Miete mit der Kunst bezahlen können. Doch den Gedanken kann ich wegschieben. Es gibt so viele Leute, die tolle Musik machen und nie erfolgreich sein werden, weil die Umstände es nicht zulassen. Umso glücklicher bin ich darüber, die Möglichkeit bekommen zu haben. Das Leben speist sich durch Zufälle. Denkt man zu viel nach, macht man sich zu viel Druck.

Traust du deinem Erfolg, wenn er da ist?
Ein Teil von mir ist sehr vorsichtig und bescheiden, was das angeht. Es könnte immer etwas passieren, einer in der Band könnte krank werden. Oder man erwischt einen schlechten Plattenvertrag, aus dem man nicht herauskommt. So etwas versuchen wir natürlich zu verhindern.

Du wirst es schaffen im Leben. Du bist jedenfalls ängstlich und selbstkritisch genug. Da bleibst du wachsam. Sollte es allerdings doch mal zu einem finanziellen Engpass kommen, was wäre dein Traum-Nebenjob für arme Künstler?
Keiner der Klischee-Jobs. Ich habe Medizin studiert. Heute muss ich meine Abschlussarbeit für die Uni einreichen. Ich würde danach gern an der Uni forschen, das ist interessant und man hat flexible Arbeitszeiten.

Was ist der schlechteste Rat, den du bisher erhalten hast?
Es nicht zu versuchen. Meinen Verwandten fehlt zum Beispiel das Verständnis für die Musikkarriere total. Es interessiert sie nicht und sie wissen nichts darüber. Ich habe also aufgehört, davon zu reden. Ein Onkel von mir war aber mal ein guter Sportler. Nachdem er einst eine Chance ausgeschlagen hat, denkt er noch heute, was wäre gewesen, wenn er es einfach versucht hätte. Also habe ich immer im Hinterkopf, dass man es wenigstens probieren sollte.

 

Bilder-Interview

 

Hier siehst du vier Bilder. Suche dir das als Antwortmöglichkeit aus, das dir am ehesten entspricht.

Wie fühlst du dich, wenn du auf der Bühne stehst?

Illustration Vita Bergen ferret William: Definitiv wie ein Frettchen auf Pillen!

 

Wie sieht deine typische Tour-Ernährung aus?

Illustration Vita Bergen cheese Sandwich Cupcake fries saladWilliam: Auf jeden Fall das Käsebrot. Ich esse kein Fleisch. Aber Käsestullen zum Frühstück, Mittag und Abendessen. Das wird mir nicht langweilig.

 

Hier kommt jetzt die mit Abstand schlimmste Frage der Welt. Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Illustration Vita Bergen flower

William: Haha, das ist ein morbides Bild. Das nehme ich. Er tötet die Blume. Das ist der Horror! Das ist wie ein Tattoomotiv.

 

Wenn du ein Schuh wärst…

Illustration Vita Bergen Schuh…wäre ich auf alle Fälle der High Heel. Ich kann mir mich selbst sogar gut in High Heels vorstellen.

 

Bei einem Freund für das Ende der Welt müsste welche Eigenschaft besonders ausgeprägt sein?

Illustration Vita Bergen Herz

William: Ich muss zugeben, es ist das Herz.

 

Was hat dich als Kind davon am meisten gereizt?

Illustration Vita Bergen Football

William: Da will ich fair sein: Sport! „Ball“ war sogar mein erstes Wort. Ich war verrückt nach Fußball. Eine künstlerische Affinität hatte ich nie. Ich erinnere mich an ein schlimmes Erlebnis. Als ich zehn war, zwang man mich, am Ende des Schuljahres auf der Bühne zu singen. Ich musste sogar ein Mädchen vor allen auf den Mund küssen. Das war alles so seltsam. Ich habe das meiste zum Glück verdrängt.

 

Wie hältst du dich in Stresssituationen?

Illustration Vita Bergen Mimik

William: Die vier Bilder charakterisieren unsere Band ganz gut. Ich würde sagen, das erste Bild passt zu mir. Ich schreie selten mal Leute an.

 

Illustrationen: Tine Stiller

Vita Bergen: vitabergen.se

Das neue Album „Retriever“ erscheint am 02. Juni 2017 bei Glitterhouse Records

 

Über den Autor

Tine

Zucker, Livemusik, Buchstaben, bunte Farben und Lacke, Kleider, Strandball, große Städte, Underdogs und andere (skurrile) Tiere, unclesally*s (RIP).

Ähnliche Beiträge

Hinterlasse eine Antwort

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.