Ein Gespräch mit Son Little ist wie ein Sofa-Abend mit einer Gruppe Freunden: Man plänkelt ein bisschen über den Job, jemand schmeißt eine Anekdote aus der Jugend, dann wird es albern und am Ende, wenn sich keiner mehr schämt, wird’s politisch. Ah, die unpraktische Dramatik. Eine Mischung, die Freundschaften sprengt. Bei Son Little aka Aaron Livingston durfte man schon mal davon ausgehen, dass er ausspricht, was er denkt. Dass er viel über sich, andere und den Zustand der Welt sinniert, zeigt auch seine Musik. Am 15. September erscheint das zweite Album des Amerikaners. „New Magic“ ist voller smarter Lyrics in einer Mischung aus Rock, Blues, Gospel und Soul. Wäre die Welt gerecht, würde der Mann aus Philadelphia ganz groß damit rauskommen. Doch Fairness ist generell kein Trendthema, wie der Sänger nachfolgend ebenfalls feststellen wird.

„New Magic“ ist deine zweite Platte. Wie wolltest du sie von der ersten abgrenzen?

Bei der ersten Platte hatte ich mich noch viel auf die Produktion konzentriert. Ich hatte mehr Zeit, konnte Sachen ausprobieren. Aber wenn man auf Tour ist, kann man sich nirgends zurückziehen. Während mir beim letzten Album noch wichtig war, mit Sounds und Technik zu spielen, stand dieses Mal das Songwriting im Vordergrund. Ich habe mich erst im Anschluss um die Produktion gekümmert. Deshalb dreht sich auf „New Magic“ auch alles mehr ums Wesentliche wie Lyrics und Akustikgitarre. Das ist eine Equipment-reduzierte Version des Songwritings.

In welcher Situation kommen dir die besten Ideen?

Ich brauche keine bestimmte Stimmung. Es kommt sehr selten vor, dass ich einen Song über etwas schreibe, das gerade passiert ist. Wenn meine Freundin und ich streiten, schreibe ich am nächsten Tag nicht sofort ein Lied darüber (tut so, als würde er rasend vor Wut etwas aufschreiben). „Das war’s du blöde…!“ Nein, natürlich funktioniert so was nicht auf diese Weise.

Bei manchen Künstlern darf man vermuten, dass es GENAU SO funktioniert.

Das stimmt. In der Sekunde, in der ich es ausgesprochen hatte, dachte ich: Alles klar, das erklärt einiges! Aber man sollte nicht gleich zur Tat schreiten. Wenn man aufschreiben will, wie man sich fühlt: Super! Aber mach nicht gleich einen Song daraus. Die Dinge sollten sich erst setzen. Man muss sie erst verarbeiten.

Und das klappt bei dir?

Ich kann bester Laune sein und einen extrem traurigen Song über etwas schreiben, was Monate oder Jahre zuvor passiert ist. Beim Schreiben allein zu sein, hilft ungemein. Auf Tour bist du Tag und Nacht mit den gleichen fünf Leuten zusammen. Zum Glück sind es nette Leute. Wenn du sagst: „Ich muss jetzt einen Song schreiben“, finden die anderen das super. Aber natürlich müssen sie sich genau in dem Moment einen Hot Dog braten. Und dann sitzt du da und hörst, wie sie kochen. Ich denke, sich von allem zu isolieren, lässt mehr Möglichkeiten zu. Denn für gewöhnlich ist die erste Version nicht die, die du behalten willst.

Fällt es dir leicht, dich an ersten Ideen nicht festzubeißen?

Ich habe erste Versionen schon so oft in die Tonne gehauen. Das lernt man. Am Ende sagt man sich: Ich habe jetzt drei Tage mit etwas verschwendet, aber ich bin zu dem perfekten Ergebnis gekommen. Es ist lustig, wie Zeit für einen arbeitet. Als Musiker sitzt man da und hört sich immer wieder das Gleiche an. Da hörst du am Ende nichts mehr heraus. Hinzu kommt, dass Musiker den Sound meist zu laut aufdrehen. Das desensibilisiert die Ohren.

Der Begriff Kreativität wird heute inflationär genutzt. Wann hast du gemerkt, dass du ein wahrer Kreativer bist?

Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der ich nicht künstlerisch aktiv war. Ich habe mich immer dafür interessiert und war immer richtig gut darin. Ich glaube, innerlich habe ich Kunst immer den meisten anderen Sachen vorgezogen.

Haben dich deine Eltern in der Beziehung gefördert?

Meine Mutter hat uns in diese Richtung geführt. Nicht weil sie selbst Künstlerin war. Sie hat einfach Sachen angeboten: „Möchtest du einen Fotokurs machen?“ Ich sagte ja. „Malen, Zeichnen, Schreiben, Musikunterricht?“ Ich habe zu allem ja gesagt. Da musste sie keine Überzeugungsarbeit leisten. Ich war ja auch gut in diesen Dingen. Jeder mag Sachen, in denen er gut ist, oder?

Aber dann wird man auch ehrgeizig und verspannt.

Das stimmt. Kennst du das?

Ich spiele zum Beispiel gern Beachvolleyball. Das macht Spaß. Aber man ärgert sich auch sehr, wenn es mal nicht gut läuft. Das Problem hätte ich bei etwas wie Onlinepoker, das mir egal ist, sicher nicht. 

Das ist doch viel zu anstrengend da im Sand herumzurennen. Da würde ich mich total unkoordiniert fühlen. ABER: Hallenvolleyball der Frauen ist meine Lieblingsdisziplin bei Olympia.

Wirklich? Wie kommt es dazu?

Absolut. * An dieser Stelle erläutert er pantomimisch, aus welchen Gründen ihn diese Sportart vor den Fernseher lockt.

Also wenn es nur ums Aussehen geht, kannst du bei Olympia auch Beachvolleyball gucken. Da sieht man noch mehr.

Ach nein. Ich mag Indoor-Volleyball. Beachvolleyball ist mir zu viel, wenn sie da in den kleinen Bikinis herumrennen. Ich mag die Indoor-Shorts. Die Spielerinnen sind super groß, aber nicht zu dünn. Im Fernsehen kommt das für mich toll rüber. Wenn ich dann allerdings mit meinen 1,78 Meter im echten Leben neben einer 1,95 Meter Frau stehe, ist das natürlich schon abgefahren. Aber mit so einer Frau hätte ich große Kinder. Hast du ein paar große Volleyballfreundinnen, die du für mich anrufen kannst (lacht)? Schreib bloß nichts von dem, was ich hier sage.

Ach komm, das ist doch lustig. Fühlst du dich manchmal unter Druck gesetzt, auf den Punkt kreativ sein zu müssen?

Nur wenn ich mit anderen Musikern zusammenarbeiten will. Es ist schwer, die Terminpläne abzustimmen und dann bleiben unterm Strich nur sechs Stunden und du denkst: Das muss jetzt was werden!

Könntest du jemals in einem normalen Job arbeiten?

Ich hatte schon normale Jobs. Ich habe mal Antiquitäten durch die Gegend gefahren, Schwimmunterricht gegeben. Ich war auch mal Redaktionsassistent und fürchterlich schlecht darin.

Wieso?

Ich bin kein guter Assistent. Ich habe einfach die wichtigen Sachen nicht gemacht. „Hast du meine Flugtickets gebucht?“, fragte meine Chefin. „Äh nö, hätte ich das machen sollen? Wieso sollte ich deine Tickets buchen? Es sind doch deine Tickets!“ Ich hatte den Job nur wegen einem Mädel bekommen. Die wollte mich immer in ihrer Nähe halten. Meine Chefin war ihre Tante.

Mir scheint, da hattest du mehr als nur ein Problem.

Stimmt, jetzt, wo du es sagst (lacht). Ich habe ganz verschiedene Sachen falsch gemacht. Die Beziehung hatte auch nicht lange gehalten. Bei einer Anstellung habe ich mal Daten in einen Computer eingegeben. Darin war ich auch schlecht. Ich musste den ganzen Tag auf den Computer starren. Das konnte ich nicht. Ich habe nicht einmal gekündigt. Ich bin einfach nach der Mittagspause nicht wieder gekommen.

Hattest du jemals Angst, deine Miete nicht zahlen zu können?

Definitiv. Das Leben in der Stadt ist wahnsinnig teuer. Und ich brauche viel Platz, denn ich besitze so viel Kram.

Das Leben scheint nicht einfacher zu werden. Welche Dinge sollte man aktuell stärker ins eigene Bewusstsein rufen?

Ich denke, Menschen sollten zur Selbstliebe fähig und mitfühlend sein. Sie sollten sich mehr mit ihrer Umgebung auseinandersetzen und mal von ihrem Telefon hochschauen.

Das ist gar nicht so einfach.

NEIN! Das ist es nicht. Aber wenn man es versucht, gewöhnt man sich daran. Wenn der Akku leer ist, verfallen die Leute erst in Panik, nach drei Stunden ist das aber überwunden und es interessiert sie nicht mehr. Mein Telefon ist schon seit Stunden tot.

Wovor fürchtest du dich?

Ich fürchte mich davor, dass wir uns alle nur ablenken mit unseren Smartphones und all dem Müll, den wir so aufnehmen. In meinem Land wird uns 24 Stunden am Tag ein lächerlicher demokratischer Prozess vorgeführt, der zu einem Zirkus verkommen ist. Das ist eine Reality Show, mehr nicht. Ich denke, wir werden nur abgelenkt von einer immanenten Katastrophe.

Wer steuert das?

Unser System ist von den gierigsten Leuten gekapert worden. Die opfern alles und jeden für ihren Profit. Sie machen sich nur Gedanken darüber, wie sie sich vor dem Rest von uns schützen können. Dabei wissen sie genau, für alle anderen werden Wasser und Nahrung knapp. In den USA haben wir auch diesen seltsamen Kampf um die Krankenversicherung. Wir sind gerade nur einen Schritt davon entfernt, dass normalen Menschen der Zugang zur Gesundheitsvorsorge komplett verweigert wird. Auf diese Weise lassen die gierigen Mächtigen die anderen einfach wegsterben.

Denkst du, das ist nur in den USA besonders schlimm?

In meinem Land wird es zur Normalität, sich nicht zu interessieren, das Offensichtliche zu ignorieren. Doch Menschen in anderen Ländern sehen, was bei uns passiert und freuen sich. Da gibt es genug, die sagen: Ach, das ist okay, lasst die Bauern sterben! Wir schützen uns selbst. Wir haben Polizei und Militär. Es wirkt so, als würden diese Typen allen Ernstes denken, um den Problemen der Welt zu entgehen, müsse man nur auf einen anderen Planeten umziehen.

Du warst ein paar Wochen in Australien. Hast du es da ähnlich empfunden?

Australien erinnerte mich sehr an Südkalifornien. Die Strände, die Menschen am Strand, die sich sonnen. Ich fragte mich allerdings irgendwann, wo sind die Aborigines? Warum sieht man die nicht? Dann bin ich nach Darwin ins Northern Territory gereist. Da leben die meisten von ihnen. Ich denke, das alles hat viel mit Schuldgefühlen zu tun. Die Australier sehen, dass sie Mitschuld daran tragen, dass die Aborigines so schlecht dran sind. Dann verdreht sich alles, weil man nicht mit der Vorstellung leben kann, jemand anderen zerstört zu haben. Und dann gibt man den Opfern die Schuld an der Misere. „Das sind doch Alkoholiker und Kriminelle“, heißt es dann. „Warum sind die nicht wie wir?! Warum haben die keine Jobs?!“

Das erinnert dich an Amerika?

Mich erinnerte das an die Situation der Afroamerikaner und Indianer. Beides gleichzeitig. Das mit den umgedrehten Schuldgefühlen zeigt sich auch in den USA. Bevor Obama Präsident wurde, haben viele Leute das Thema Sklaverei einfach totgeschwiegen. Obama war aber auch nicht überall beliebt. Viele wollten ihn loswerden. Das ist auch ein Grund, wieso ausgerechnet Trump an die Macht kam. Obwohl ich natürlich feststellen muss, dass auch bei Obama nicht alles gut gelaufen ist. Er hat nicht, wie versprochen, Guantanamo geschlossen. Was ist mit all den Drohnenangriffen in Pakistan und anderswo? NSA-Überwachung? Den gleichen Mist gab es doch auch schon, als Bush Präsident war. Ich bin sauer, weil Obama sich mit den Banken verbündet hat. Stinksauer! Die USA hält sich die Bürger ungebildet, so dass die dann im Sinne der Mächtigen dumme Entscheidungen treffen. Perfekt.

Obama kam nach Außen sehr gut rüber.

Ich denke, Obama ist ein netter Kerl. Ein netter Kerl mit einem guten Job. Da fühlt man sich gleich besser bei all den dreckigen Morden, die überall passieren. „Seht ihn euch an. Er ist klug. Ich will mit ihm rumhängen! Ich will Basketball mit ihm spielen!” Währenddessen ist er der Frontmann all dieser Drohnenangriffe, die kleine Kinder töten. Als Obama gewählt wurde, waren die Menschen sehr über Bush verärgert. Sie mussten also strategisch jemanden finden, der begeistert. Doch dann ging der ganze Scheiß von vorne los.

Die USA sind so ein großes Land. Da wird doch jemand zu finden sein, der den Job anständig macht.

Klar, aber diese Person schafft es nie bis nach vorn. Obama war so ein starker Frontmann und dann wollen sie ihn mit einer schwachen Kandidatin wie Hillary Clinton ersetzen. Dabei ist es auch egal, dass sie eine Frau ist. Das reicht nicht aus. Das klingt gerade so, als müsste man der Welt beweisen, dass eine Frau gut genug wäre, das Amt zu bekleiden. Es ist das gleiche mit Obama. Ich hätte es nicht gebraucht, dass der Präsident schwarz ist, nur um zu zeigen, dass ein schwarzer Mann den Job machen kann. Das ist mir auch so klar. Dieser Identitätskontext, der hier kreiert wird, ist komplett wertlos. Man braucht jemanden, der den Job anständig macht, mit Ethik und Moral. Das will ich! Jemand, dem die Interessen der Menschen wirklich am Herzen liegen. Wir haben die Demokratie komplett verloren. Wäre alles demokratisch abgelaufen, hätte Bernie Sanders gewonnen. Er war der mit Abstand beliebteste Kandidat. Und er scheint vernünftig zu sein. Daher hätte er niemals gewinnen können. Das wäre zu einfach gewesen.

Ein Besuch bei Son Little

 

Über den Autor

Tine

Zucker, Livemusik, Buchstaben, bunte Farben und Lacke, Kleider, Strandball, große Städte, Underdogs und andere (skurrile) Tiere, unclesally*s (RIP).

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